Von der Weisheit des Lichtopfers – Rezension von Albrecht Seeger

Butterlampen-FrontCover_webLicht – dargebracht – wird als ein Ausdruck altruistischen Wünschens, als eine Geste des Gebetes verstanden. Oft soll das physische Licht in unserer oder in einer anderen Wirklichkeitsdimension Helligkeit spenden, soll Schwere, Trübung und Leid in Leichtigkeit, Klarheit und Freude transformieren, soll einen Weg erhellen.
Chhimed Rigdzin Rinpoche (1922 – 2002), Tantra- und Dzogchenmeister, war Linienhalter der Tradition des Nyingma-Klosters Khordong in Osttibet. Er zeichnete sich durch kraftvolle, unkonventionelle und zugleich traditionsbezogene Belehrungen aus.
Chhimed Rigdzin Rinpoche verfasste „Das Butterlampen-Wunschgebet“ als Praxistext, um mögliche Hindernisse im Leben seines Lehrers, Tulku Tsultrim Zangpo, zu beseitigen und das Wohlergehen aller Lebewesen zu fördern. Noch heute wird dieses Gebet regelmäßig an verschieden Orten praktiziert, dabei werden mehr als 100.000 Butterlampen angezündet und den Buddhas und Bodhisattvas dargebracht.
Verbunden mit dieser Praxis ist der Wunsch, Konflikte zu befrieden und persönlichen oder allgemeinen Frieden zu erzeugen. Samsarische Trübungen, seien sie emotionaler oder mentaler Natur, werden gereinigt und können sich als Buddhaqualitäten befreien – so der Text. Chhimed Rigdzin Rinpoche verwendet das Bild einer traditionellen Butterlampe, deren Bestandteile – das Gefäß, das Öl, der Docht und die Flamme – im Verlauf von 18 Abfolgen poetisch mit jeweils neuen assoziativen Bedeutungsebenen belegt werden, wodurch ein Spektrum von Methoden auf dem Weg zur Erleuchtung erscheint. Das Unbeschreibbare wird so bebildert und es eröffnen sich Zugänge zum Non-dualen.
Dem zentralen Gebetstext, der von allen vier tibetischen Schulen in die eigene Praxis integriert werden kann, sind traditionelle vorbereitende Übungen wie Zuflucht und Entwicklung von Bodhicitta sowie eine Siebenzweigepraxis vorangestellt. Auf Empfehlung von Chhimed Rigdzin Rinpoche wurde „Das Sutra des Königs mit der Goldenen Hand“ hinzugefügt; es weitet das Herz, unermessliches Mitgefühl entsteht. Den Abschluss dieses Mahāyāna-Textes bilden klassische Gebete wie Widmung des Verdienstes. Der Rezitationstext ist auch auf Tibetisch enthalten.
Dem Kommentar von James Low im zweiten Teil des Buches ist es zu verdanken, dass ein größeres Publikum Zugang zu dem visionären Gebetstext bekommt, der von jedem/r – auch ohne Einweihung – rezitiert werden kann. Als einer der engsten westlichen Schüler von Chhimed Rigdzin Rinpoche übersetzte er zusammen mit ihm das Gebet. Sein Kommentar, der von seiner Tätigkeit als Psychotherapeut und Erfahrung als Dzogchen-Lehrer profitiert, erhellt dem/der Leser/in aus Dzogchen-Sicht den subtilen Sinn­ge­halt des Gebetes, Zeile für Zeile. Er gibt konkrete Hinweise zur inneren meditativen Haltung während der Rezitation und erläutert das Konzept von Leerheit aus immer wieder neuen Blickwinkeln. Geistreiche und alltagsnahe Interpretationen lockern den Text auf und inspirieren durch ihre praktische Lebensweisheit, ohne sich dabei in Trivialitäten zu verlieren. Der Stil des Kommentars ist eingängig; die deutsche Übersetzung von Heike Drinkuth ist flüssig zu lesen und bleibt nah am englischen Original. Allerdings wäre ein Glossar wünschenswert.
Das Buch eignet sich sowohl für Neueinsteiger, die eine verdienst- und hingebungsvolle Gebetspraxis für eine Lichtdarbringung suchen, als auch für Personen mit Kenntnissen und Erfahrungen im Buddhismus, die dem Dzogchen gegenüber offen sind. „Lichter der Weisheit“ ist ein Buch, das einen lange begleiten kann: als Praxistext – alleine oder in Gemeinschaft rezitiert, als Arbeitsbuch – um ein lebendiges Verständnis des Gebetes zu erlangen, und nicht zuletzt als Quelle von Weisheit – sei es als Impulsgeber oder für eine gezielte Kontemplation.
„Unsere Wesensnatur ist strahlend, doch vor uns verborgen. Möge das Licht der Nichtdualität dieses Paradoxon erhellen.“ (S. 5)

Die Besprechung wurde in „Tibet und Buddhismus“ veröffentlicht, hier online.

Lichter der Weisheit. Das Butterlampen-Wunschgebet von Chhimed Rigdzin Rinpoche. Mit einem Kommentar von James Low. Aus dem Englischen von Heike Drinkuth. edition khordong im Wandel Verlag, Berlin, 15.4.2014,  288 Seiten, Klappenbroschur, 22x15cm, 390g, 21,60€, ISBN: 978-3-942380-06-5

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